hubert blanz

frigolite elemente
C-Print auf Dibond, Hubert Blanz, 2004    


Magie des Augen-Blicks

Wolfgang Fiel

Wirklichkeit – die sogenannte Realität – ist das individuelle Konstrukt selektiver Wahrnehmung. Verbleiben deren Gegenstände in ihren codierten Bedeutungszusammenhängen, erregen sie zumeist wenig Aufsehen. Die normative Kraft des Alltäglichen und Gewöhnlichen vermittelt einerseits ein Gefühl von Sicherheit und andererseits den referenziellen Hintergrund für eine kognitive Orientierung gegenüber jenen Phänomenen, die sich einer unmittelbaren Einordnung entziehen.
Die schiere Präsenz des Materials, das seiner eingeschriebenen semantischen Codierung entledigt wird, eröffnet der BetrachterIn neue Projektionsräume für die reale Konstruktion von assoziativen Szenarien, ohne dabei notwendigerweise auf gewohnte phänomenologische Erkenntnismuster verzichten zu müssen.

In diesem Sinne greift Blanz auf ein Motiv modernistischer Stadtplanung zurück, die mit dem dualistischen Dispositiv einer verdichteten Skyline vor dem Prospekt eines mehr oder weniger unberührten Landschaftsraums der Utopie einer menschengerechten Balance zwischen Stadt und Natur gerecht zu werden versucht. Ausgangsmaterial für die Konstruktion entsprechender Szenarien ist dabei diverses Verpackungsmaterial aus extrudiertem Polystyrol (der Titel der Arbeit Frigolite Elemente verweist auf die umgangssprachliche Benennung des Materials), das aus allen möglichen Perspektiven fotografisch erfasst und anschließend im Blickfeld einer fiktiven AkteurIn montiert wird. Diese blickt wie in den Abbildungen Le Corbusiers 1) aus einem neutralen aber gegenüber der Referenzebene leicht überhöhten Standpunkt gegen die Skyline einer Stadt, die sich bei Blanz beispielsweise aus dem spezifischen Erscheinungsbild einer ondulierenden Wasseroberfläche oder dem ausgetrockneten aschgrauen Boden einer Tongrube erhebt. Die jeweilige Verortung des spezifischen Standpunkts erfolgt mittels Angabe der entsprechenden Höhen- und Breitengrade. Trotz der minutiösen Komposition des Wechselspiels unterschiedlicher Volumina und des Grades ihrer plastischen Ausprägung entsteht das Paradoxon, dass die Übergänge zwischen Figur und Grund diffus erscheinen und damit die Kompositionselemente des Bildraums in eine pittoreske Grundstimmung getaucht werden. Die Ergebnisse assoziieren dabei die apokalyptische Befindlichkeit einer den ozeanischen Fluten einer Lagunenstadt oder dem terrestrischen Sturm einer Mondkolonie ausgesetzten Ansiedlung, deren BewohnerInnen bereits verschwunden sind. Das Artifizielle wird sukzessive vom Umraum überformt; das repetitiv Serielle wird zur Multiplizität des Differenziellen.  
„In dem Moment, wo ich glaube, eine magische Erfahrung erklären zu können, bleibt das Problem bestehen; denn ich erkläre nicht die magische Erfahrung, sondern nur irgendein Gebilde, welches vielleicht dazu führen könnte, diese magische Erfahrung zu haben.“ 2)


1) Eine Stadt der Gegenwart In: Le Corbusier, Der Städtebau, S. 201—207, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1979.
2) Zitat Heinz von Foerster In: Teil der Welt, S. 33, Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg, 2002.
<< < >