hubert blanz

Vergina Sun
Audio-/Videoinstallation, 4:3 Format, 5:30 min, Hubert Blanz, 2007

Der Titel Vergina Sun bezieht sich auf den "Stern von Vergina" ein sechzehnstrahliges Sonnensymbol. Der Stern von Vergina war Bestandteil der ersten, von Griechenland nicht anerkannten Flagge des Staates Mazedonien (1992-1995), wurde aber nach Protesten Griechenlands, das den Stern ebenfalls als Nationales Symbol beansprucht, durch eine achtstrahlige Sonne ersetzt.

Was aus dem Blickwinkel des Betrachters an ein Eintauchen in die unendlichen Weiten des Universums erinnert, zeigt sich bei gezielter Betrachtung als ein Sternenmeer aus Straßennamen der mazedonischen Hauptstadt. Der Stadtplan von Skopie, bei dem sämtliche Piktogramme und schriftlichen Kennzeichnungen entnommen worden sind, ist der alleinige Ausgangspunkt der Arbeit. Betrachtet man dieses entstandene Schriftbild isoliert, so ist aufgrund der Rasterung noch eindeutig die städtische Struktur von Skopje erkennbar. Die kosmische Perspektive entsteht durch Überlagerung und Bewegungsanimation mehrerer Schriftbilder in weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund. Der dazu entstandene Soundteppich aus Stimmen arbeitet ebenfalls mit dem Element Straßennamen. Zu hören sind mazedonische Männer- und Frauenstimmen, die diese Sterne bei ihrem Namen nennen.


Das Immanente Strahlen

Margit Zuckriegl

Das Phänomen des Abbildens mittels lichtrelevanter Verfahren ist einerseits die Grundlage für jede Fotografie, andererseits eines der besonderen Charakteristika des filmischen Produktionsprozesses. Wo kein Licht vorhanden ist, bleibt jede Art von Bildgenerierung aus, wo keine Lichtquelle wirksam ist, muss sie hergestellt oder zugeführt werden. Dass damit lichtimmanente Technik zur Anwendung kommt, ist eine Notwendigkeit des 19. Jahrhunderts, das sich die physikalischen Eigenschaften von Lichtherstellung und -verstärkung zunutze zu machen suchte, von der einfachen Glühbirne bis hin zu den (heute computergesteuerten) Blitzanlagen, die in der hochgerüsteten Anwendungsfotografie nach wie vor zum Einsatz kommen – nichts Neues im Bereich der künstlichen Sonnen.

Anders und neu – in ihrer Symptomatik, Erscheinung und Anwendung – ist dagegen die Funktion von Licht in den digitalen Medien. Nicht mehr das Abbilden von Gegenständen, Natur, Objekten (das Bild des Menschen inkludierend) wird mittels lichtempfindlicher Schichten und Belichtung angestrebt, wie etwa am eindringlichsten und einfachsten in den fotogrammatischen Prozessen, sondern das Generieren von Bildern und Informationen steht im Vordergrund, die sich ausschließlich dem „elektrischen Leuchten“ verdanken. 1) Bildschirm, Screen, Display machen Computerdaten sichtbar und lesbar; sie bedingen eine ihren Kategorien entsprechende Erscheinungsform der Informationszeichen und bringen umgekehrt eine eigene Zeichenästhetik hervor. Zu diesem recht allgemeinen Befund gesellt sich aber ein anderes, vielfach nicht eigens wahrgenommenes Phänomen: das dem Computer, den Screens, inhärente Eigenlicht. 2) Das, was Peter Weibel „das Licht der technischen Medien“ nennt, hatte sich seit der Suche der Künstler nach dem Wirken der Bilder und der Mittel der Kunst konstant fortentwickelt: vom Bildlicht der frühen Abstrakten zu Video- und Computerkunst.

Hier entstehen nun neue künstlerische Konzepte, die sich mit den Systematiken von Informationsgenerierung und -visualisierung befassen, diese abändern, neu ausformulieren und mit anderen Intentionen verknüpfen. Der künstlerische Impetus vertieft bisweilen Teilaspekte der elektronischen Medien, indem er sie ihrer Funktionalität entkleidet und diese isoliert als Phänomen betrachtet, er verknüpft andererseits intentional nicht kompatible Modi, um neue ästhetische Konstrukte herzustellen.

Charles Sandison 3) etwa ist ein Künstler, der in seinen Videoprojektionen, von ihm „Data Computer Programs“ genannt, die traditionelle Videoarbeit mit Kamera und Set durch reine Computerarbeit ablöst. Er entlehnt einerseits die Zahlen- und Letternsysteme dem binären System, andererseits verknüpft er die Informationsebene mit einer bildlichen, inhaltlichen Aussage: Es entsteht ein (vom Medium her nicht intendiertes) Spannungsfeld zwischen Rationalität und Magie. Das „elektrische Leuchten“ dringt aus der unendlichen kosmischen Finsternis des Unbewussten an die Oberfläche.

Ähnlich verknüpft auch Hubert Blanz inhaltlich-emotive Valeurs mit (scheinbar) rational-konstruktiven. Seine elektronische Straßenkarte der mazedonischen Hauptstadt Skopje ist ein magisches Sternenraster, eine manipulierte Landkarte, ein flirrender Computerbildschirm, ein historischer Katasterplan, ein identitätsstiftendes Inbild, ein mathematisches Deduktionsspiel, eine filmische Reise vom kalt kalkulierten Außen ins tief emotionelle Innere.

Der Transformationsprozess liegt – wie bei impressionistischen Gemälden – beim Betrachter: Vergina Sun gibt ein Geflecht von Straßennamen und lokalen Ortsbezeichnungen im Gefüge einer Stadt, es ist aber auch das Sinnbild einer ausradierten Identität, die sich bloß noch an die Buchstaben und Lettern des normierten Stadtbildes klammert. Die Stadt bildet sich ab in einem abstrahierten Lineament – der Stadtplan als algorithmische Wundertat – und nicht als Vedute oder Ansicht. Die Summe der Namen von Plätzen und Straßen macht das Ganze der Stadt aus – oder etwa nicht?

Skopje ist die Hauptstadt des seit 1991 unabhängigen Staates Mazedonien. Sie ist mit über 500.000 Einwohnern und 225 km2 das größte urbane Gefüge der damals südlichsten Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawien. Die schwierige geografische, politische und kulturelle Situation an einer Schnittstelle der Entwicklungen am Balkan seit den Zeiten der Völkerwanderung schlug sich in all den Jahrhunderten der verschiedenen Okkupationen, Invasionen und kriegerischen Auseinandersetzungen im Selbstbild des neuen Staates nieder. Bis heute sind ethnische und religiöse Probleme mit historischen und territorialen Implikationen verknüpft. Selbst der Name des Landes wird dem neuen Staat nicht ungeteilt überlassen – Griechenland erhebt Anspruch auf die Benennung seiner nördlichen Region mit eben dieser Bezeichnung. Hier sind wieder die historische Herleitung und das Festschreiben von Gründungsmythen auf beiden Seiten die Rechtfertigung für die Beanspruchung des Namensrechts. Ähnlich komplex ist die Situation rund um das Staatssymbol, die „Sonne von Vergina“.

Hubert Blanz nennt seine audiovisuelle Animation nach dem umstrittenen Zeichen, das in seiner Ambivalenz und unterschiedlichen Zuordnung ein recht offenes Bild darstellt: Seit bei Ausgrabungen im nordgriechischen Ort Vergina im Jahr 1977 das grafische Emblem des 16-zackigen Sternbildes aufgetaucht ist, hat es viele Interpretationen erfahren: Sonne oder Stern, 16 oder zwölf Strahlen, Sinnbild der hellenistischen Herrscherdynastie oder der slawischen Mehrheit im heutigen Staat – symptomatisch für die schwierige Geschichte und die umso schwierigere Identitätsfindung Mazedoniens ist es allemal.

Vergina Sun bezeichnet nun die computergenerierte, filmische Arbeit von Hubert Blanz, die vom systematisch dargestellten Straßennetz der Hauptstadt Skopje ausgeht. Alle Zeichen am Plan werden getilgt, übrig bleiben allein die Namen der Straßen als lettristisches Zeichensystem und deren phonetische Umsetzung in der Verbalisierung durch Passanten der verschiedenen Ethnien. Es entsteht eine Geschichte ohne Narration, ein dichtes Gefüge von Reflexionen und Assoziationen, ein Raster von Überlagerungen und ein vager Raum voll von Unwägbarkeiten und Ahnungen. Der Sternenraum und das monotone Raunen stehen für die Abwesenheit von Erzählhandlung oder literarischen Bildern und zeichnen dennoch ein Vexierbild zwischen Historie und Gegenwart.

Das immanente Strahlen der zeichenhaften Graphismen verweist auf die Unendlichkeit des Kosmos, aber auch auf die unauslotbaren Weiten des medialen Raumes. Dass es sich hierbei nicht in erster Linie um Kommunikationsräume und Funktionsräume handeln muss, sondern dass es einen „sozialen Zusatzraum“ gibt, hat Manfred Fassler erarbeitet, indem er vom Rezipienten die Fähigkeit einfordert, „abstrakt aufgebaute visuelle Szenen zu interpretieren“ 4), bzw. dass der zunächst nicht erkennbare Raum, in dem Daten erstellt, bearbeitet und verändert werden, in eine „wahrnehmbare Flächen- oder Raumimpression überführt“ werden muss. Der digitalisierte und manipulierte Stadtplan von Skopje ist damit in der Audio-/Videoinstallation von Hubert Blanz nicht nur das grafische Muster von Daten, sondern ein wahrnehmbarer Raum, in dem der Betrachter mit den verschiedensten Wissensebenen und Inhalten in Berührung kommt – und dies als ein sozialer, emotiver Akteur.

Die Faszination, in einem magischen Raum einem rätselhaften Vorgang beizuwohnen, weicht zunehmend einer Art von Beklemmung, an einer Metamorphose teilzunehmen, die sich jeder rationalen Erklärung entzieht. Das permanente Bestreben, den Systematiken des irrlichternden Vorgangs auf die Spur zu kommen, wird von einem interesselosen Staunen abgelöst mit der abwartenden Haltung, einfach nur zuzusehen. Der Malstrom des filmischen Vorgangs nimmt den Rezipienten mit auf eine Reise zwischen Mikro- und Makrokosmos, zwischen erdverbundenem Informationskalkül und transzendierender Spiritualität. Einen ähnlichen Weg von banalen Alltagsszenen zu theoretischen Wissenschaftsgebäuden und wieder zurück, von der konventionellen Maßstäblichkeit bis in die interstellaren Unmäßigkeiten und retour in die mikroskopischen Nanowelten machten schon vor 30 Jahren Charles und Ray Eames mit ihrem Kurzfilm Powers of Ten. 5) Wie sich eine einfache Szene in ein System von Zeichen und Strukturen verwandeln lässt, je nachdem, welcher Vorgang der Perzeption Anwendung findet und welche Mittel dafür eingesetzt werden, ist ein Lehrstück der medialen Rezeptionsgeschichte. Wie sich solche Strategien mit emotionalen Werten aufladen lassen, führen Kunstwerke der Medienkunst immer wieder vor: Die Filme des Künstlerduos Jeroen de Rijke und Willem de Rooij spielen in solchen sozialen Räumen, ja, die Räume werden zum eigentlichen Inhalt der filmischen Handlung. Unabhängig vom narrativen Erzählstrang herrscht eine Atmosphäre der Unsicherheit, des angespannten Innehaltens: „Geschichte und Erdgeschichte werden scheu und mit gebührendem Abstand auf die Möglichkeit ihrer Bildhaftigkeit befragt“ 6), sagt Veit Loers über ihren Film Of Three Men, in dem es in erster Linie um Stille, Warten und Nachfühlen geht. Und um das Wissen über Zusammenhänge in der Tiefe des Bewusstseins und die Möglichkeiten, diese Räume nach außen erfahrbar zu machen. Dort, wo der dunkle, stille Raum sich öffnet, wo einen Spaltbreit die Außenwelt eindringt, kann er nicht mehr hermetisch und unerklärlich abgeschlossen verbleiben.

Dort, wo Vergina Sun wie eine Nova zu zerstieben scheint, beginnt sie über die Zeichenhaftigkeit der digitalen Rasterung hinauszuragen und neue Licht-Räume zu erschließen.


1) „electricity itself“ könnte man mit McLuhan hier anführen.
2) Der Fotograf und Medienkünstler Günther Selichar hat sich in seiner Serie Screens, cold (publiziert: Hubertus von Amelunxen, Robert C. Morgan, Urs Stahel: Günther Selichar, Screens, cold, Wien, 2001) damit künstlerisch auseinandergesetzt.
3) Vgl. ein-leuchten, Katalog Museum der Moderne Salzburg, T-B A21, Wien, 2004, S.110.
4) Manred Fassler, Mediale Interaktion, München, 1996, S. 49.
5) Mit diesem filmischen Meisterwerk der Klassiker des Möbeldesigns aus dem Jahr 1977 lässt sich auch eine Aussage relativieren, dass wir „erst seit ein paar Jahren als Internetbenutzer die Möglichkeit (haben), im Web virtuelle Reisen in der realen Welt, zumindest in den Bildern der realen Welt zu machen“ (Florian Rötzer, Hubert Blanz, in: Eikon 58, 2007). Vor allem der „zielgenaue Sturz von großer Höhe auf einen Ort, der immer näher herangezoomt wird“ (F. Rötzer), wurde hier schon in extenso vorgeführt.
6) Veit Loers, in: Jeroen de Rijeke/Willem de Rooij, After The Hunt, New York 2000, S. 125.
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