hubert blanz

digital surroundings
Audio-/Videoinstallation, 16:9 Format, 11:14 min, Hubert Blanz, 2001


Der Blick nach unten

Wolfgang Fiel

Die Analogie ist nachvollziehbar, das Ergebnis verblüffend: In seiner Arbeit mit dem Titel Digital Surroundings assembliert Hubert Blanz eine Anzahl ausrangierter CPU-Platinen zu einem ‘patchworkartigen’ Gefüge, dessen Textur bei näherer Betrachtung durch die vielfältigen Bauformen der auf die Leiterplatten gelöteten Elektronikbauteile über signifikante Gestalteigenschaften verfügt. Diese Struktur dient Blanz im übertragenen Sinn als Hardware für eine räumlich-assoziative Annäherung.

Durch die Interpretation der assemblierten Konfiguration als stadträumliches Gefüge entsteht eine Analogie zwischen der plastischen Qualität des Ausgangsmaterials und der Morphologie einer gewachsenen Stadtlandschaft. Um diese Stadtlandschaft wahrnehmungsmäßig zu erschließen, versetzt Blanz die BetrachterIn in die Perspektive einer HelikopterpassagierIn, die beim Flug über die dicht gestaffelten Baukörper einer schier endlos erscheinenden städtischen Agglomeration von jenem Gefühl durchdrungen wird, das Christoph Asendorf in seinem Buch Super Constellation 1) als Raumrevolution beschrieben hat, die, ausgelöst durch Luft- und Raumfahrt, seit Beginn des 20. Jahrhunderts unsere Sehgewohnheiten radikal verändert hat. „Super Constellation“ ist der Name der legendären Langstreckenmaschinen der Firma Lockheed, die bis Ende der 50er-Jahre die Zivilluftfahrt prägten und für Asendorf stellvertretend für die gesamte Epoche der Luft- und Raumfahrt ein Begriffsfeld definieren, das sich erst mit dem Blick aus den Fenstern des Flugzeugs konstituierte. Was sich damals als vorläufig letzte kartografische Beschreibung der Welt durch das virtuelle Netzwerk des internationalen Flugverkehrs dargestellt hat, ist mit dem Word Wide Web um die Dimension eines weiteren globalen Netzwerks erweitert worden, das nicht nur unsere Sehgewohnheiten und Raumwahrnehmungen, sondern darüber hinaus auch das Erscheinungsbild gebauter Stadtlandschaft nachhaltig verändert und somit nicht ausschließlich virtueller Natur ist.

Dieses Leitmotiv thematisierend, befreit Blanz die visuellen Eigenschaften der einzelnen Elektronikbauteile von ihrer funktionalen Bestimmung, steigert deren physische Präsenz mit einer Maßstabsverschiebung und suggeriert dadurch den Eindruck real existierender Stadtlandschaften.
Dass es sich beim positivistischen Paradigma des totalen Überblicks und damit einhergehenden Ansprüchen umfassender Kontrolle um eine Selbsttäuschung handeln könnte, verdeutlicht der dem visuellen Flugereignis unterlegte Sound, der, ständigen Modulationen unterworfen, vom typischen Rotorengeräusch eines Helikopters getragen wird und ein Gefühl apokalyptischer Entwurzelung hervorruft.
Bei Blanz mündet die Präzision der Simulation nicht in lapidaren Realismus. Fehler im System sind vorprogrammiert.


1) Christian Asendorf: Super Constellation. Flugzeug und Raumrevolution, SpringerWienNewYork, Wien, 1997.
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